Mittwoch, 21. Januar 2009

Lesen als Wildern

"'Ich lese und ich hänge meinen Tagträumen nach... Meine Lektüre wäre somit meine impertinente Abwesenheit. Kann die Lektüre eine Übung in Allgegenwärtigkeit sein?' (20). Das ist eine ursprüngliche, ds heisst initiatorische Erfahrung: lesen bedeutet, woanders zu sein, dort wo wir nicht sind, in einer anderen Welt (21); es bedeutet, eine geheime Szene oder Bühne zu erdenken; es bedeutet schattige und dunkle Winkel in einem Dasein zu schaffen, das der technokratischen Transparenz und jenem unerbittlichen Licht ausgesetzt ist, das bei Genet die Hölle der gesellschaftlichen Entfremdung verkörpert. Marguerite Duras schrieb: 'Vielleicht liest man immer in der Nacht... Die Lektüre geht aus der Dunkelheit der Nacht hervor. Selbst wenn man bei hellem Tageslicht liest, draussen, wird es um das Buch Nacht' (22).
Der Leser ist der Produzent von Gärten, in denen eine Welt zusammengetragen und verkleinert wird; er ist der Robinson einer zu entdeckenden Insel; aber er ist auch auf sein eigenes Karnevalstreiben abgefahren, das das Vielgestaltige und die Differnz in das Schriftsystem einer Gesellschaft und eines Textes einführt. Er ist somit ein schwärmerischer Autor. Er hat keinen festen Boden unter den Füssen und schwankt an einem Nicht-Ort zwischen dem, was er erfindet, und dem, was ihn verändert. Mal hat er wie ein Jäger im Wald das Geschriebene vor Augen, kommt vom Weg ab, lacht und landet einen 'Coup' oder er macht als guter Spieler mal einen schlechten Zug. Mal verliert er die fiktiven Sicherheiten der Realität: seine Seitensprünge schliessen ihn von den Sicherheiten aus, die das Ich im gesellschaftlichen Rahmen festhalten. Wer liest eigentlich? Ich? Oder was in mir? 'Es ist nicht das Ich als eine Wahrheit, sondern das Ich als eine Ungewissheit über das Ich, das sich in diesen Texten lesend verliert. Je mehr ich lese, desto weniger verstehe ich sie, und ich komme vom Regen in die Traufe' (23)."

*****Aus: De Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns. Berlin, 1988. S.306.

Dienstag, 6. Januar 2009

Bericht

Der Tag, an dem der Wildsau und seiner Ladysau den Vortritt gelassen wurde.