Dienstag, 15. April 2008

Rituale II

"Es ist eine bekannte Tatsache, dass das Spiel und die hauptsächlichsten Formen der Kunst anscheinend in der Religion ihren Ursprung haben und dass sie lange Zeit einen religiösen Charakter behalten haben. Man sieht, welches die Gründe sind: Der Kult war, obwohl er direkt auf andere Zwecke zielt, zu allen Zeiten für die Menschen eine Art Erholung. Diese Rolle hat die Religion nicht zufällig gespielt, dank eines glücklichen Zusammentreffens, sondern dank einer Notwendigkeit ihrer Natur. Obwohl das religiöse Denken, wie wir festgestellt haben, etwas ganz anderes ist als ein System von Fiktionen, gelingt es den Wirklichkeiten, denen es enstpricht, nur dann, sich religiös auszudrücken, wenn die Phantasie sie verwandelt. Zwischen der Gesellschaft, so wie sie objektiv ist, und den heiligen Dingen, die sie symbolisch darstellen, besteht ein beträchtlicher Abstand. Die Eindrücke, die die Menschen wirklich fühlen und die als Rohstoff für diese Konstruktionen gedient haben, mussten erst interpretiert, ausgearbeitet und bis zu Unkenntlichkeit umgewandelt werden. Die Welt der religiösen Dinge ist also, wenn auch nur in ihrer äusseren Form, eine teilweise imaginäre Welt, die aus diesem Grund leichter für freie Geistesschöpfungen geeignet ist. Weil im übrigen die intellektuellen Kräfte, die zu ihrem Aufbau dienen, heftig und turbulent sind, genügt die einzige Aufgabe, die darin besteht, das Wirkliche mit Hilfe von geeigneten Symbolen auszudrücken, nicht, um sie zu beschäftigen. Im allgemeinen bleibt ein Überschuss übrig, der sich in zusätzliche, überflüssige und verschwenderische Werke umsetzt, d. h. in Kunstwerke."

*****Durkheim, Emile: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt am Main,1994. S. 512f.

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