Dienstag, 21. Februar 2012

Arbeitsplatz

Flaianos Held

Der faule Schriftsteller schlief. Der Held der Erzählung, an der er gerade geschrieben hatte, als der Schlaf ihn übermannte, trat aus dem letzten Kapitel und fing an, in den Romanen, die im Bücherregal standen, herumzuschmökern. »Unerhört«, dachte er, »die hier amüsieren sich alle, reisen, reden, betrinken sich, fröhnen den seltsamsten Neigungen, gehen ständig miteinander ins Bett! Und ich? Ich?« Der faule Schriftsteller wachte auf und sagte: »Wenn du das alles auch tun willst, dann tu’s im Papierkorb.« Und er zerriss die Seiten, die er geschrieben hatte. Als aber sein Held nicht aufhören wollte zu weinen, sagte er noch, bevor er wieder einschlief: »Ja, weine nur, weine, das wird dir gut tun!«

Ennio Flaiano: Und ich?

Frühlingslied im Winter

Im Winter sollst du keinen Hut aufhaben.
Fällt Schnee, spürst du auch kaum ihn, der ins Haar
Dir fällt ohn' Aufhörn langsam und wird Wasser
Auf deiner Haut und wird was er war

So spürst du doch an ihm, dass es ihn gibt und
Wie er sehr flüchtig ist und muß verziehn.
Er wird schon Wasser, wenn du ihn gespürt hast.
Aber für eine Weile spürst du ihn.

Heiner Müller

Freitag, 3. Februar 2012

Sensibilité

»Ne méprisez la sensibilité de personne.

La sensibilité de chacun, c'est son génie.«


Baudelaire, Journaux intimes

Sonntag, 30. Mai 2010

Kluges Dämon

»Wie erkennnt man einen Dämon? Er schwatzt und übertreibt.«
Alexander Kluge

Montag, 28. Dezember 2009

Fields of Freedom

In physics there is a very famous problem that heavily influenced the development of chaos theory. It's called the 'three-body problem', where you have completely deterministic projectories of bodies constrained by Newtonian laws. For example, if you have two bodies interacting, through gravity for example, everything is calculable and foreseeable. If you know where they are in relation to each at one moment, you can project a path and figure out where they were at any given moment in the past, or at a time in the future. But if you have three of them together what happens is that a margin of unpredictability creeps in. The paths can't be accurately determined after a point. They can turn erratic, ending up at totally different places than you'd expect. What has happened? How can chance creep into a totally deterministic system? It's not that the bodies have somehow broken the laws of physics. What happens is interference, or resonation. It's not really discrete bodies and paths interacting. It's fields. Gravity is a field - a field of potential attraction, collision, orbit, of potential centripetal and centrifugal movements. All these potentials form such complex interference patterns when three fields overlap that a measure of indeterminacy creeps in. It's not that we just don't have a detailed enough knowledge to predict. Accurate prediction is impossible because the indeterminacy is objective. So there's an objective degree of freedom even in the most deterministic system. Something in the coming-together of movements, even according to the strictest of laws, flips the constraints over into conditions of freedom. It's a relational effect, a complexity effect. Affect is like our human gravitational field, and what we call our freedom are its relational flips. Freedom is not about breaking or escaping constraints. It's about flipping them over into degrees of freedom. You can't really escape the constraints.


(Aus Brian Massumi: Navigating Movement)

Donnerstag, 10. September 2009

Wozu noch Geschichten?

"[...]Dieser in allem ungelenke Intellektuelle sass nächtelang im ausgeräumten Zimmer seines Sohns und wurde immer grüblerischer, versponnener, urteilsschwächer. Manchmal sprach er mit Roman, aber er fing an zu stottern und geriet in ungewohnte Ausdrucksnot.
'Mach nichts wie ich', stammelte er mehrmals, und als er nicht weitersprechen konnte, schrieb er seine Worte auf einen Block.
'Ich habe nach den Begriffen gelebt. Es ist aber besser, viele Sagen, Mythen, Geschichten zu besitzten, sie nicht bloss zu kennen, sondern wirklich zu besitzen. Das heisst: von ihnen besetzt und besessen zu sein. Damit kann jeder seine Familie beliebig vergrössern. Sein Typ mitsamt seinem Unglück bekommt eine Menge Geschwister. Onkel und Väter, Vorgänger, Ahnen, einen ganzen Clan, zu dem er gehört und der im Notfall ihm beisteht. Damit du nicht nacht und abstrakt dastehst, wenn dir einmal etwas so Unbegreifliches passiert wie mir. Wenn man viele Geschichten besitzt, wird man sich immer an eine andere, sehr alte, sehr ähnliche erinnern und ein wenig Trost finden bei seiner jahrhundertealten Verwandtschaft, bei seiner Familie. Alles, was dir als ein grausamer Zufall erscheint, der dich in furchtbarer Vereinzelung trifft, ist in Wahrheit nichts als eine Erinnerungslücke: weil dein Hirn den Zusammenhang mit der grossen Geschichte des menschlichen Unglücks verlor. Nicht herstellen kann. Nicht parat hat. Und auch deine Mutter nestelt jetzt euer neues Nest aus altem Plunder, aus dem Plunder uralter Neuanfangsgeschichten.
Jeder Angstschrei des Hasen, den man hetzt/eine Faser im menschlichen Hirn zerfetzt.
Und dann setzt die Verwirrung ein. Die Engel sind übrigens deshalb so klein, weil sie auf den Kern des Guten geschrumpft sind."

(aus Botho Strauss: Mikado. 2006, Hanser, S. 101f.)

Sonntag, 15. Februar 2009

Schnengel


Wenn eine eine Wanderung leitet...

Mittwoch, 21. Januar 2009

Lesen als Wildern

"'Ich lese und ich hänge meinen Tagträumen nach... Meine Lektüre wäre somit meine impertinente Abwesenheit. Kann die Lektüre eine Übung in Allgegenwärtigkeit sein?' (20). Das ist eine ursprüngliche, ds heisst initiatorische Erfahrung: lesen bedeutet, woanders zu sein, dort wo wir nicht sind, in einer anderen Welt (21); es bedeutet, eine geheime Szene oder Bühne zu erdenken; es bedeutet schattige und dunkle Winkel in einem Dasein zu schaffen, das der technokratischen Transparenz und jenem unerbittlichen Licht ausgesetzt ist, das bei Genet die Hölle der gesellschaftlichen Entfremdung verkörpert. Marguerite Duras schrieb: 'Vielleicht liest man immer in der Nacht... Die Lektüre geht aus der Dunkelheit der Nacht hervor. Selbst wenn man bei hellem Tageslicht liest, draussen, wird es um das Buch Nacht' (22).
Der Leser ist der Produzent von Gärten, in denen eine Welt zusammengetragen und verkleinert wird; er ist der Robinson einer zu entdeckenden Insel; aber er ist auch auf sein eigenes Karnevalstreiben abgefahren, das das Vielgestaltige und die Differnz in das Schriftsystem einer Gesellschaft und eines Textes einführt. Er ist somit ein schwärmerischer Autor. Er hat keinen festen Boden unter den Füssen und schwankt an einem Nicht-Ort zwischen dem, was er erfindet, und dem, was ihn verändert. Mal hat er wie ein Jäger im Wald das Geschriebene vor Augen, kommt vom Weg ab, lacht und landet einen 'Coup' oder er macht als guter Spieler mal einen schlechten Zug. Mal verliert er die fiktiven Sicherheiten der Realität: seine Seitensprünge schliessen ihn von den Sicherheiten aus, die das Ich im gesellschaftlichen Rahmen festhalten. Wer liest eigentlich? Ich? Oder was in mir? 'Es ist nicht das Ich als eine Wahrheit, sondern das Ich als eine Ungewissheit über das Ich, das sich in diesen Texten lesend verliert. Je mehr ich lese, desto weniger verstehe ich sie, und ich komme vom Regen in die Traufe' (23)."

*****Aus: De Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns. Berlin, 1988. S.306.

Dienstag, 6. Januar 2009

Bericht

Der Tag, an dem der Wildsau und seiner Ladysau den Vortritt gelassen wurde.

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Sehenswert

Donnerstag, 27. November 2008

Einer mit Schnauz

Wenn man einen Amboss geschenkt bekommt

Montag, 24. November 2008

Aufgehende Sonne



Mind the brilliant spacing of these elegant boys!

Montag, 5. Mai 2008

Maifeier in Murnau


Nun kann der Sommer getrost beginnen, der
Maibaum ist weiss-blau gewickelt und s Dirndl sitzt!
Danke für das allerschönste Frühlingsfest!

Alle, die sich die Maifeier noch ausführlicher ansehen möchten,
finden hier den Weg zum fortlaufend erstellten Nebenblog.

Freitag, 25. April 2008

Nostalgia

Mittwoch, 23. April 2008

Averroes by Agamben by Imagination

"Die Imagination ist eine Entdeckung der Philosophie des Mittelalters. Und noch in diesem erreicht sie im Denken des Averroes ihre kritische Schwelle - und ihre aporetischste Formulierung. Tatsächlich betrifft die zentrale Aporie des Averroismus, die nie aufhörte, den hartnäckigen Widerspruch der Scholastiker zu erregen, das Verhältnis zwischen dem einen und abgetrennten möglichen Intellekt und den einzelnen Individuen. Laut Averroes bedürfen diese, um sich mit dem Intellekt zu vereinigen (copulantur), der Phantasmen, die im inneren Sinn (insbesondere der Einbildungskraft und dem Gedächtnis) hausen. Insofern kommt der Imagination eine absolut entscheidende Bedeutung zu. Auf dem Gipfelpunkt der individuellen Seele, an der Grenze zwischen dem Körperlichen und dem Unkörperlichen, dem Individuellen und dem Gemeinsamen, der Empfindung und dem Denken ist sie die Schlacke, die die in Flammen aufgegangene individuelle Existenz auf der Schwelle zum Abgetrennten und Ewigen zurücklässt. Folglich ist die Imagination - nicht der Intellekt - das Prinzip, das die Spezies Mensch bestimmt.
Fraglos ist diese Definition aporetisch [...], denn sie siedelt die Imagination in der Leere an, die sich zwischen der Empfindung und dem Denken, der Mannigfaltigkeit der Individuen und der Einheit des Intellekts auftut. Daher - wie immer, wenn es darum geht eine Schwelle oder einen Übergang zu erfassen - die schwindelerregende Vervielfachung der Unterscheidungen in der mittelalterlichen Psychologie: Sensibitlität [virtus sensitiva], Einbildungskraft [virtus imaginativa], Erinnerungsvermögen [virtus memorialis], materieller und erworbener Verstand [intellectus materialis, adeptus] etc. Die Imagination beschreibt einen Raum, in dem wir aufgehört haben zu denken, in dem nur durch eine Denkunmöglichkeit das Denken ermöglicht wird."

*****Aus: Agamben, Giorgio: Nyphae. Berlin, 2005. S. 42.

Dienstag, 15. April 2008

Rituale II

"Es ist eine bekannte Tatsache, dass das Spiel und die hauptsächlichsten Formen der Kunst anscheinend in der Religion ihren Ursprung haben und dass sie lange Zeit einen religiösen Charakter behalten haben. Man sieht, welches die Gründe sind: Der Kult war, obwohl er direkt auf andere Zwecke zielt, zu allen Zeiten für die Menschen eine Art Erholung. Diese Rolle hat die Religion nicht zufällig gespielt, dank eines glücklichen Zusammentreffens, sondern dank einer Notwendigkeit ihrer Natur. Obwohl das religiöse Denken, wie wir festgestellt haben, etwas ganz anderes ist als ein System von Fiktionen, gelingt es den Wirklichkeiten, denen es enstpricht, nur dann, sich religiös auszudrücken, wenn die Phantasie sie verwandelt. Zwischen der Gesellschaft, so wie sie objektiv ist, und den heiligen Dingen, die sie symbolisch darstellen, besteht ein beträchtlicher Abstand. Die Eindrücke, die die Menschen wirklich fühlen und die als Rohstoff für diese Konstruktionen gedient haben, mussten erst interpretiert, ausgearbeitet und bis zu Unkenntlichkeit umgewandelt werden. Die Welt der religiösen Dinge ist also, wenn auch nur in ihrer äusseren Form, eine teilweise imaginäre Welt, die aus diesem Grund leichter für freie Geistesschöpfungen geeignet ist. Weil im übrigen die intellektuellen Kräfte, die zu ihrem Aufbau dienen, heftig und turbulent sind, genügt die einzige Aufgabe, die darin besteht, das Wirkliche mit Hilfe von geeigneten Symbolen auszudrücken, nicht, um sie zu beschäftigen. Im allgemeinen bleibt ein Überschuss übrig, der sich in zusätzliche, überflüssige und verschwenderische Werke umsetzt, d. h. in Kunstwerke."

*****Durkheim, Emile: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt am Main,1994. S. 512f.

Rituale I

"Ein Ritus ist also etwas anderes als ein Spiel. Er ist ernstes Leben."

*****Durkheim, Emile: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt am Main,1994. S. 514.

Freitag, 11. April 2008

Mehr singende Menschen

Unser aller Uni-All(p)tagtraum:

Auch etwas scharfpixliger zu sehen auf der Seite von Prangstgrüp.

Nochmal Verschiebungen


Zugegebenermassen um ein Vielfaches flacher. Andrerseits realkörperlich wahrnehmbar. Mehr zu den Urhebern hier.

Donnerstag, 10. April 2008

Einzell-Kommunikation mit einer Art Welt


Verschiebungen der dritten Art kann man zur Zeit übers Schauspielhaus Zürich - von Rimini Protokoll - durch Ringier - beziehungsweise als Call Cutta in a Box erleben. In Zürich diesen Monat noch beinahe täglich und tagsüber zu buchen. Reservation Pflicht. Globale Auflösung inbegriffen.

Samstag, 5. April 2008

Grau und Eng



Ein Tag wie ein Halfter

(es ist ein Pferd, D)
Ein zweidottriges Ei und die ersten Augenringe meines Lebens gefunden.

Montag, 31. März 2008

Florale Nachtguerilla



Und nach Mitternacht wurde frohgemut die florale Anarchie gesät... auf dass die Saat gedeihe!

Das allergrösste und komplizierteste Himmel-und-Hölle-Spiel der Welt




Wieder ein Sonntag aus dem Bilderbuch: Wir hüpften den Hang hinauf und hinunter vom Himmel 1 und zurück

Dienstag, 25. März 2008

Schneeostersonntag

Montag, 24. März 2008

Die Absichtslosigkeit floraler Anarchie

"Im Garten manifestiert sich die (Im-)Materialität der Dinge. Es gibt „starke“ Künstler, die Gärten als etwas Emphatisches und Erhabenes darstellen. Wenn der Künstler „schwach“ bleibt, dann lässt er die Gärten sich selber erzählen. Gärten wirken wie sakrale Räume. Gute Kunst lässt das Sakrale in Gärten ohne Hierarchie auskommen. Alles ist gleich wichtig und gleichzeitig. Gärten sind nicht zeitlos und sind der Zeit nicht unterworfen. Sie sind Zeitgeber, nicht Zeitmesser. Sie sind ständig in Bewegung: der Wind, die Wolken, die Schatten, die Blätter – alles bewegt sich. Aber keine Bewegung hat ein Ziel, keine erfüllt eine Erwartung. Der Gartengott ist bekanntlich seit alters her der unanständige Priapos – auf ihn kann man nicht warten, er kommt immer überraschend. Sie sind nicht Orte in der Welt. Die Welt ist in ihnen. (...) Sie sind im wörtlichen Sinne Schauplätze: Plätze, die sich zeigen. Denn es ereignet sich nichts auf ihnen, ausser das Ereignen selbst. Das Ereignis ist, worin es sich ereignet: im Sehen, in der Performativität des Erlebens. Dem Betrachter bleibt das Sehen als ein Sehen des Sehens. Das Wichtige ist nicht das, was er sieht, sondern der Akt, in dem es sich vollzieht. Ein streunendes, absichtloses Sehen. Es ordnet nicht, es folgt dem, was sich ‚zeigt’."

***** Bianchi, Paolo. In: Die Ordnung der Natur. Sturm, Martin und Wipplinger, Hans-Peter (Hg).

Heimatort: Vals


Einige Knoten meiner Blutbahnen haben sich gelöst: Mein Grossvater ist wiederaufgenommen in Vals. Hier das Haus meines Ururgrossvaters, beschaut von freieren Konstellationen.